In unseren Breitengraden sind wir meiner Meinung nach durch schulische Bildung so konditioniert worden, dass wir unsere Leistungen nach Noten von hierarchisch höher Gestellten ausrichten, und normative Bewertungen wie „gut“ oder „schön“ von Mitmenschen begehren. Dieses Bestätigungsbedürfnis hält an und macht sich auch im Erwachsenenalter bei künstlerischen Prozessen bemerkbar. Dies widerspiegelt sich oft in offenen Werk-Diskussionen, wo die Diskussion bei einfachen Komplimenten und verletzenden Kritiken hängen bleibt.
Liz Lerman meint dazu: «They also need to be able to hear positive comments that are specific, not „this is the greatest I have ever seen“.»1 Auch Karim Benammar zählt normative Bestätigungen als Hauptgrund auf, warum ein Feedback oft nicht funktioniert: «Usually I think, the most important thing is that there is [...] judgment involved. A judgement of „good“ or „bad“, or „I liked it“ or „I didn 't like it“.»
2 Beide Methoden zielen auf eine Überbrückung von bestätigenden oder negativ angelegten Kritiken hinaus – und hin auf eine nicht-hierarchisch ausgelegte Lernweise. Benammar arbeitet hier dem Begriff „traditional learning“ entgegen, den er als Lernverhältnis mit einer 20 Jahre älteren Person mit einem Wissensvorsprung beschreibt. Er sucht nach einem anderen Lernen indem er sagt: Wie können wir gegenseitig voneinander lernen? und öffnet neue Wege, um sich von einem übergeordneten Wertesystem zu lösen und die individuellen Ansichten schätzen zu lernen – für die Feedbackgebenden wie auch für die -nehmenden.

           Bei diesem Punkt möchte ich noch einen Aspekt hinzufügen. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einem „privaten“ oder „professionellen“ Blick sprechen. Damit meine ich, dass ein „privater“ Blick meistens mit  einer normativen Bewertung einhergeht, die sich an einem persönlichen Geschmack ausrichtet und in einem privaten Gespräch absolut angemessen ist. Bei einem „professionellen“ Blick
3 sollte es aber Bedingung sein, den Prozess des/r Studierenden im Auge zu behalten und die eigenen Vorlieben zurück zu stellen. Und es sollte die Fähigkeit gegeben sein, differenzierte Bewertungen in nicht-normativer Form zu bewerkstelligen.

 

1 Lerman/Borstel: Liz Lerman‘s critical response process. S. 14.
2 Faber/Weinand/DasArts: A film about feedback. (DVD)
3 Ich beziehe mich hier vorwiegend auf künstlerische Ausbildungen an Hochschulen.